Mehr Bioökonomie bei steigendem Gesamtverbrauch von Biomasse bedeutet Landraub und Vertreibung von Kleinbauernfamilien im globalen Süden. Auch Nachhaltigkeits-Zertifizierungen lösen diese Probleme nicht.
von Jutta Kill, WRM
Pflanzliche Biomasse ist der Dreh- und Angelpunkt der Bioökonomie. Eine Konsequenz daraus: Wächst die Bioökonomie, steigt der Verbrauch von Biomasse – und damit auch die Fläche, die für die Produktion dieser Biomasse benötigt wird.
Land ist in den EU-Ländern jedoch begehrt und teuer, und Pflanzen wachsen im globalen Süden klimabedingt schneller. Zudem, so ist immer wieder in der aktuellen Bioökonomie-Debatte hier zu vernehmen, stünden große Flächen mit “degradierten” Böden im globalen Süden zur Verfügung, würden gar davon profitieren, wenn sie zur Produktion von Biomasse genutzt werden.
Die Realität sieht anders aus: Konzerne bevorzugen nicht degradierte Flächen für ihre industriellen Plantagen, sondern fruchtbare Ackerböden. Plantagenbetreiber beanspruchen schon heute große Flächen in Ländern wie Brasilien, Mozambique, Indonesien, oder Malaysia für industrielle Plantagen zur Produktion von Zellstoff, Energie oder Palmöl. Wächst die Bioökonomie bei gleichbleibendem oder gar wachsendem Verbrauch der schon heute aus Plantagenbiomasse hergestellten Produkte, führt mehr Bioökonomie bei uns zwangsläufig dazu, dass Plantagenkonzerne kleinbäuerlicher Landwirtschaft im globalen Süden noch mehr fruchtbare Ackerböden streitig machen. Dies hätte auch weitreichende negative Folgen für die regionale Ernährungssicherheit und –souveränitat, denn ebenjene kleinbäuerliche Landwirtschaft leistet einen erheblichen Beitrag (~70%) zur Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in diesen Regionen.
Palmölernte auf Sumatra, Indonesien
Die bestehenden industriellen Baumplantagen verursachen schon heute nahezu überall im globalen Süden Konflikte mit Anrainern, in der Regel Kleinbauernfamilien und indigene Völker: Ihre Landrechte werden verletzt, ihre Ernten zerstört, sie verlieren Zugang zu ihren Ackerflächen und Wasserquellen, sind Gesundheitsrisiken ausgesetzt als Folge des massiven Chemikalieneinsatzes in den industriellen Monokulturen und büßen oft auch einen Teil ihrer Bewegungsfreiheit ein, wenn das eigene Land von industriellen Monokulturen umgeben und von Sicherheitskräften kontrolliert wird. Wo Plantagen Dörfer umzingeln oder den Weg zu Feldern und Marktplätzen abschneiden, steigt insbesondere für Frauen die Gefahr, Opfer sexuelle Gewalt zu werden.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden Zertifizierungen und Standards entwickelt, die Menschenrechtsverletzungen vermeiden und ein ökologisch verträgliches und sozial gerechtes Plantagenmanagement sichern sollen. Sie sind diesem Anspruch nicht gerecht geworden und stehen zunehmend in der Kritik, Deckmantel für die Zerstörung durch industrielle Plantagen zu sein.
Ein für die Bioökonomie-Debatte entscheidendes Manko ist, dass bestehende Zertifizierungssysteme das Kernproblem Expansion von industriellen Plantagen - und die damit verbundene Landnahme -ausklammern oder erwägen, die bestehenden Beschränkungen zu lockern. Zertifizierung bietet somit strukturell keine Handhabe, um den Anstieg von Nutzungskonflikten infolge von Expansion industrieller Biomasseplantagen zu verhindern. Solche Nutzungskonflikte sind jedoch unausweichliche Folge von mehr Bioökonomie ohne drastische Minderung des Energie- und Stoffdurchsatzes in Industrieländern: Nicht genutztes Land mit Bodenfruchtbarkeit und beschaffenheit, sowie klimatische Bedingungen, wie sie Konzerne für industrielle Produktion von Biomasse bevorzugen, ist in relevantem Ausmaß nicht mehr vorhanden.
In seinem Artikel “Burning Buried Sunshine”, zeigt der Biologe Jeffrey Dukes die Verbrennung Erdöl, Kohle und Erdgas in nur einem Jahr der terrestrischen Biomasse von etwa 400 Jahren entspricht. Vergleiche wie dieser unterstreichen die Grenzen einer Bioökonomie im Kontext einer auf grenzenloses Wachstum ausgerichteten Ökonomie. Mehr Bioökonomie ohne drastische Reduzierung des Gesamtverbrauchs an Energie und Biomasse als Rohstoff bedeutet somit zwangsläufig mehr Menschenrechtsverletzungen, mehr Ernährungsunsicherheit und mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlage im globalen Süden verlieren und denen dann nur noch ein menschenunwürdiges Leben in den Slums der Städte bleibt.
Augenzeugenbericht aus Nigeria: „Okomu Oil Palm destroyed three villages“
Jutta Kill ist Biologin und engagiert sich beim World Rainforest Movement (WRM).
von Jutta Kill, WRM
Mehr Bioökonomie bei steigendem Gesamtverbrauch von Biomasse bedeutet Landraub und Vertreibung von Kleinbauernfamilien im globalen Süden. Auch Nachhaltigkeits-Zertifizierungen lösen diese Probleme nicht.
Pflanzliche Biomasse ist der Dreh- und Angelpunkt der Bioökonomie. Eine Konsequenz daraus: Wächst die Bioökonomie, steigt der Verbrauch von Biomasse – und damit auch die Fläche, die für die Produktion dieser Biomasse benötigt wird.
Land ist in den EU-Ländern jedoch begehrt und teuer, und Pflanzen wachsen im globalen Süden klimabedingt schneller. Zudem, so ist immer wieder in der aktuellen Bioökonomie-Debatte hier zu vernehmen, stünden große Flächen mit “degradierten” Böden im globalen Süden zur Verfügung, würden gar davon profitieren, wenn sie zur Produktion von Biomasse genutzt werden.
Die Realität sieht anders aus: Konzerne bevorzugen nicht degradierte Flächen für ihre industriellen Plantagen, sondern fruchtbare Ackerböden. Plantagenbetreiber beanspruchen schon heute große Flächen in Ländern wie Brasilien, Mozambique, Indonesien, oder Malaysia für industrielle Plantagen zur Produktion von Zellstoff, Energie oder Palmöl. Wächst die Bioökonomie bei gleichbleibendem oder gar wachsendem Verbrauch der schon heute aus Plantagenbiomasse hergestellten Produkte, führt mehr Bioökonomie bei uns zwangsläufig dazu, dass Plantagenkonzerne kleinbäuerlicher Landwirtschaft im globalen Süden noch mehr fruchtbare Ackerböden streitig machen. Dies hätte auch weitreichende negative Folgen für die regionale Ernährungssicherheit und –souveränitat, denn ebenjene kleinbäuerliche Landwirtschaft leistet einen erheblichen Beitrag (~70%) zur Versorgung mit Grundnahrungsmitteln in diesen Regionen.
Palmölernte auf Sumatra, Indonesien
Augenzeugenbericht aus Nigeria: „Okomu Oil Palm destroyed three villages“
Die bestehenden industriellen Baumplantagen verursachen schon heute nahezu überall im globalen Süden Konflikte mit Anrainern, in der Regel Kleinbauernfamilien und indigene Völker: Ihre Landrechte werden verletzt, ihre Ernten zerstört, sie verlieren Zugang zu ihren Ackerflächen und Wasserquellen, sind Gesundheitsrisiken ausgesetzt als Folge des massiven Chemikalieneinsatzes in den industriellen Monokulturen und büßen oft auch einen Teil ihrer Bewegungsfreiheit ein, wenn das eigene Land von industriellen Monokulturen umgeben und von Sicherheitskräften kontrolliert wird. Wo Plantagen Dörfer umzingeln oder den Weg zu Feldern und Marktplätzen abschneiden, steigt insbesondere für Frauen die Gefahr, Opfer sexuelle Gewalt zu werden.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden Zertifizierungen und Standards entwickelt, die Menschenrechtsverletzungen vermeiden und ein ökologisch verträgliches und sozial gerechtes Plantagenmanagement sichern sollen. Sie sind diesem Anspruch nicht gerecht geworden und stehen zunehmend in der Kritik, Deckmantel für die Zerstörung durch industrielle Plantagen zu sein.
Ein für die Bioökonomie-Debatte entscheidendes Manko ist, dass bestehende Zertifizierungssysteme das Kernproblem Expansion von industriellen Plantagen - und die damit verbundene Landnahme -ausklammern oder erwägen, die bestehenden Beschränkungen zu lockern. Zertifizierung bietet somit strukturell keine Handhabe, um den Anstieg von Nutzungskonflikten infolge von Expansion industrieller Biomasseplantagen zu verhindern. Solche Nutzungskonflikte sind jedoch unausweichliche Folge von mehr Bioökonomie ohne drastische Minderung des Energie- und Stoffdurchsatzes in Industrieländern: Nicht genutztes Land mit Bodenfruchtbarkeit und beschaffenheit, sowie klimatische Bedingungen, wie sie Konzerne für industrielle Produktion von Biomasse bevorzugen, ist in relevantem Ausmaß nicht mehr vorhanden.
In seinem Artikel “Burning Buried Sunshine”, zeigt der Biologe Jeffrey Dukes die Verbrennung Erdöl, Kohle und Erdgas in nur einem Jahr der terrestrischen Biomasse von etwa 400 Jahren entspricht. Vergleiche wie dieser unterstreichen die Grenzen einer Bioökonomie im Kontext einer auf grenzenloses Wachstum ausgerichteten Ökonomie. Mehr Bioökonomie ohne drastische Reduzierung des Gesamtverbrauchs an Energie und Biomasse als Rohstoff bedeutet somit zwangsläufig mehr Menschenrechtsverletzungen, mehr Ernährungsunsicherheit und mehr Menschen, die ihre Lebensgrundlage im globalen Süden verlieren und denen dann nur noch ein menschenunwürdiges Leben in den Slums der Städte bleibt.
Jutta Kill ist Biologin und engagiert sich beim World Rainforest Movement (WRM).
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